Dashcam-Aufzeichnungen dürfen zur Beweisführung über Verkehrsunfälle im Zivilprozess verwendet werden
Das Oberlandesgericht Nürnberg hat entschieden, dass Aufzeichnungen von Kameras, welche in Fahrtrichtung fest auf dem Armaturenbrett installiert sind („Dashcam“), in einem Zivilprozess verwertet werden dürfen. Das Interesse des Beweisführers an einem effektiven Rechtsschutz und seinem Anspruch auf rechtliches Gehör überwiege das Interesse des Unfallgegners an dessen Persönlichkeitsrecht insbesondere dann, wenn andere zuverlässige Beweismittel nicht zur Verfügung stünden. Es handelt sich soweit ersichtlich um die erste Entscheidung eines Oberlandesgerichts zu dieser Frage.
Der Kläger fuhr mit seinem Pkw Toyota auf der Bundesautobahn A 5 in Höhe Karlsruhe, als der Lkw der Beklagten hinten links auf sein Fahrzeug auffuhr, wodurch dieses beschädigt wurde. In dem Lkw war eine Dashcam installiert, mit welcher das Unfallgeschehen aufgezeichnet wurde. Der Kläger behauptet, er habe verkehrsbedingt abgebremst und der Fahrer des Lkws der Beklagten sei ihm wegen zu hoher Geschwindigkeit und zu geringen Abstandes aufgefahren. Die Beklagten stellen das Unfallgeschehen hingegen so dar, dass der Kläger von der linken Spur über die mittlere auf die rechte Spur gewechselt sei und dann dort abrupt bis zum Stillstand abgebremst habe. Der Unfall sei trotz sofortiger Reaktion des Fahrers nicht vermeidbar gewesen.
Der Kläger hat vor dem Landgericht Regensburg Schadensersatz in Höhe von 14.941,77 Euro von den Beklagten verlangt. Er vertrat in dem Prozess die Auffassung, dass die Dashcam-Aufzeichnungen nicht verwertet werden dürften, da dies einen Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht darstelle.
Das Landgericht Regensburg hat zur Rekonstruktion des Unfalls ein unfallanalytisches Sachverständigengutachten eingeholt. Der Sachverständige kam durch Auswertung der Dashcam-Aufzeichnung zu dem Ergebnis, dass die Unfallversion der Beklagten zutreffend ist. Ohne Verwertung der Bilder aus der Dashcam könne er dagegen nicht feststellen, welche der beiden Unfalldarstellungen richtig sei. Das Landgericht Regensburg hat die Klage abgewiesen und dies vor allem mit dem auf die Auswertung der Dashcam gestützten Sachverständigengutachten begründet.
Der Kläger hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt und sich nochmals gegen die Verwertung der Dashcam-Aufzeichnungen gewandt. Der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg hat in einem Hinweisbeschluss die Auffassung vertreten, dass das Landgericht Regensburg seinem Urteil zu Recht die Dashcam-Aufzeichnungen zugrunde gelegt hat. Der Kläger hat seine Berufung daraufhin zurückgenommen.
Der Senat führt aus, dass die Frage, ob die Aufzeichnungen verwertet werden dürfen, im Rahmen einer Interessen- und Güterabwägung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu klären ist.
Ein Verwertungsverbot ergebe sich im vorliegenden Fall weder aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung noch aus dem Kunsturheberrecht oder datenschutzrechtlichen Normen.
Durch die Aufzeichnung werde nicht in die Intim- oder Privatsphäre des Klägers eingegriffen. Sein Interesse bestehe lediglich darin, dass sein im öffentlichen Verkehrsraum stattfindendes Verhalten nicht für einen kurzen Zeitraum dokumentiert werde. Dem stehe das Interesse des Beklagten daran gegenüber, nicht auf der Grundlage unwahrer Behauptungen zu Unrecht verurteilt zu werden. Dies habe Vorrang gegenüber dem sehr geringfügigen Eingriff in die Interessen des Unfallgegners daran, dass sein Fahrverhalten nicht dokumentiert werde.
Die Tatsache, dass außer der Aufzeichnung des konkreten Unfallgeschehens auch Aufnahmen von Fahrzeugen Dritter erfolgt seien, führe ebenfalls nicht zu einem Verwertungsverbot. Es gehe im Zivilprozess ausschließlich um die Verwertung der relevanten Sequenzen zum Unfallhergang und nicht um die Beurteilung von Sequenzen, die damit nicht in Zusammenhang stehen. Die Berücksichtigung von Drittinteressen würde zudem bei der konkreten Fallgestaltung auch deshalb nicht zu einem Verwertungsverbot führen, weil diese ebenfalls nur minimal betroffen seien. Es gehe hier um Aufzeichnungen mit einer fest auf dem Armaturenbrett installierten und nach vorne gerichteten Dashcam. Die Aufnahmen richteten sich nicht gezielt gegen einzelne Personen, wie es etwa bei der Videoüberwachung oder dem Mitschnitt von Telefonaten der Fall sei. Vielmehr würden lediglich kurzzeitig und relativ klein die Bewegungen der Fahrzeuge abgebildet. Die im Fahrzeug sitzenden Personen seien praktisch nicht sichtbar.
Auch aus dem Datenschutzrecht ergibt sich nach Ansicht des Senats nichts anderes. Nach den dortigen Rechtsgrundlagen komme es letztlich auf die gleiche Güterabwägung an, die hier zugunsten der Beklagten ausfalle.
Schließlich ergebe sich ein Verwertungsverbot auch nicht aus dem Kunsturheberrecht. Es liege bereits kein „Bildnis“ vor, da die Aufzeichnungen die Person des Klägers allenfalls schemenhaft abbilden würden.
Die Aufzeichnungen waren daher nach Ansicht des 13. Zivilsenats im konkreten Fall verwertbar.
Quelle: OLG Nürnberg, Pressemitteilung vom 07.09.2017 zum Hinweisbeschluss 13 U 851/17 vom 10.08.2017