Erfolglose Verfassungsbeschwerde im Zusammenhang mit Vorschriften zur elektronischen Patientenakte und der Werbung für Versorgungsinnovationen

Mit am 26.01.2021 veröffentlichten Beschlüssen hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen Vorschriften des Sozialgesetzbuchs Fünftes Buch (SGB V) richtete. Gegenstand waren Regelungen im Zusammenhang mit der elektronischen Patientenakte, die den gesetzlichen Krankenkassen gegenüber ihren Versicherten gezielte Informationen über und Angebote zu Versorgungsinnovationen ermöglichen (§ 68b Abs. 2 und Abs. 3 SGB V) und die es unter bestimmten Voraussetzungen erlauben, ohne Pseudonymisierung Datenverarbeitungen zur Qualitätssicherung durchzuführen (§ 299 Abs. 1 Satz 5 Nr. 2 SGB V). Gleichzeitig hat die Kammer in einem weiteren Verfahren einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, mit dem das Inkrafttreten von § 68b Abs. 3, § 284 Abs. 1 Satz 1 Nr. 19 SGB V verhindert werden sollte.

Die Verfassungsbeschwerde ist bereits unzulässig, weil die Nutzung der elektronischen Patientenakte freiwillig ist und der Beschwerdeführer nicht unmittelbar und gegenwärtig in seinen eigenen Rechten betroffen ist. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung blieb schon deshalb ohne Erfolg, weil der Rechtsweg vor den Fachgerichten nicht erschöpft wurde.

Sachverhalt

§ 68b Abs. 1 Satz 4 SGB V erlaubt den gesetzlichen Krankenversicherungen, die von ihnen rechtmäßig erhobenen und gespeicherten versichertenbezogenen Sozialdaten für die Vorbereitung von – gesetzlich nicht näher bestimmten – Versorgungsinnovationen und für die Gewinnung Versicherter für diese Versorgungsinnovationen im erforderlichen Umfang auszuwerten. Die Auswertung erfolgt pseudonymisiert und, soweit möglich, auch anonymisiert. Die Krankenkassen können ihre Versicherten über individuell geeignete Versorgungsinnovationen und andere Versorgungsleistungen informieren und ihnen entsprechende individuelle Angebote machen. Nach der bisherigen Rechtslage bestand sowohl für die Datenauswertung als auch für die Information und das Unterbreiten von Angeboten ein Einwilligungserfordernis der Versicherten. Durch § 68b Abs. 3 SGB V ist dieses Einwilligungserfordernis hinsichtlich der Datenauswertung nach § 68 Abs. 1 Satz 4 SGB V gänzlich entfallen. Hinsichtlich der gezielten Information und der Unterbreitung individueller Angebote nach § 68b Abs. 2 SGB V wurde das vorher bestehende Einwilligungserfordernis durch eine Widerspruchsmöglichkeit ersetzt. Die Datenerhebungs- und -speicherungsbefugnis der gesetzlichen Krankenversicherungen wird nach § 284 Abs. 1 Satz 1 Nr. 19 SGB V auf solche Sozialdaten erweitert, die zur Vorbereitung von Versorgungsinnovationen, zur Information der Versicherten und zur Unterbreitung von Angeboten dienen.

Gerügt wird jeweils eine Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.

Wesentliche Erwägungen der Kammer

1. Die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 1 BvR 619/20 ist unzulässig.

Im Hinblick auf die Vorschriften, mit denen die Einführung der elektronischen Patientenakte geregelt wird, ist der Beschwerdeführer nicht unmittelbar und gegenwärtig in eigenen Rechten betroffen. Denn die Nutzung der elektronischen Patientenakte ist gemäß § 341 Abs. 1 Satz 2 SGB V freiwillig. Damit hat der Beschwerdeführer es selbst in der Hand, die geltend gemachte Verletzung in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung abzuwenden, indem er seine Einwilligung zur Nutzung der elektronischen Patientenakte nicht erteilt.

2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Verfahren 1 BvQ 108/20 hat keinen Erfolg, weil eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde aus Gründen der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) unzulässig wäre.

Der Antragsteller war verpflichtet, zunächst bei den Sozialgerichten um Rechtsschutz im Wege einer Feststellungs- oder Unterlassungsklage nachzusuchen. Die in den angegriffenen Vorschriften verankerten Datenverarbeitungsbefugnisse enthalten unbestimmte Rechtsbegriffe, von deren Auslegung entscheidend abhängt, inwiefern der Antragsteller rechtlich und tatsächlich beschwert ist. Damit sind gerade nicht nur spezifisch verfassungsrechtliche Fragen aufgeworfen, sondern diesen vorgelagert zunächst Fragen der Auslegung des Fachrechts zu klären. Erst danach besteht eine gesicherte Tatsachen- und Rechtsgrundlage, auf der über die Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Normen entschieden werden kann.

Quelle: BVerfG, Pressemitteilung vom 26.01.2021 zu den Beschlüssen 1 BvR 619/20 und 1 BvQ 108/20 vom 04.01.2021