Heimliche Filmaufnahmen berechtigen zur Entziehung der kassenzahnärztlichen Zulassung
Das Thüringer Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 20. November 2017 eine Berufung des Klägers gegen ein Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 23. März 2016 zurückgewiesen, mit dem eine Klage gegen die Entziehung seiner Zulassung zur vertragszahnärztlichen Versorgung erfolglos geblieben war.
Der Kläger ist als Vertragszahnarzt in Thüringen zu- und niedergelassen. Im Jahre 2012 entdeckten die bei dem Kläger beschäftigten Zahnarzthelferinnen eine versteckte Kamera im Umkleideraum. Mit dieser erstellte der Kläger ohne Wissen der Zahnarzthelferinnen Aufnahmen von diesen. Ein deswegen geführtes Strafverfahren wurde vom Landgericht Gera mit Beschluss vom 2. Mai 2014 nach Rücknahme des Strafantrages durch die Praxisangestellten wegen eines Verfahrenshindernisses eingestellt. Verfahren vor dem Arbeitsgericht Gera wurden nach Zahlung eines Schmerzensgeldes an die Praxisangestellten einvernehmlich beendet. Auf Antrag der kassenzahnärztlichen Vereinigung wurde ein Verfahren mit dem Ziel der Entziehung der Zulassung des Klägers eingeleitet. Mit Beschluss vom 28. Januar 2015 entzog der Berufungsausschuss bei der kassenzahnärztlichen Vereinigung Thüringen die Zulassung des Klägers. Mit Urteil vom 23. März 2016 hat das Sozialgericht Gotha eine Klage dagegen abgewiesen.
Das Thüringer Landessozialgericht hat die Auffassung des Berufungsausschusses und des Sozialgerichts Gotha, dass der Kläger aufgrund einer gröblichen Verletzung seiner vertragszahnärztlichen Pflichten ungeeignet für die Ausübung der vertragszahnärztlichen Tätigkeit sei, bestätigt. Nach Auffassung des Senats liegt eine gröbliche Verletzung der vertragszahnärztlichen Pflichten darin, dass der Kläger über einen Zeitraum von sechs Jahren wiederholt Bildaufnahmen von seinen Praxisangestellten im Umkleideraum ohne deren Kenntnis angefertigt hat. Es ist nicht der Auffassung des Klägers gefolgt, dass eine Ungeeignetheit eines Arztes nur mit schweren Pflichtverstößen im Hinblick auf die ihm anvertrauten Patienten oder das System der vertragszahnärztlichen Versorgung begründet werden könne. Eine gröbliche Pflichtverletzung kann sich auch aus dem Verhalten gegenüber den Praxisangestellten ergeben. Die Anfertigung unerlaubter Bildaufnahmen in der Umkleidekabine stellt unabhängig von der damit verfolgten Motivation einen erheblichen Eingriff in die Intim- und Privatsphäre der Mitarbeiterinnen und in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Dieser ist von der Schwere genauso zu werten, wie eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Der Kläger hat unter Ausnutzung der Gegebenheiten seiner Praxis seine Arbeitgeberstellung als Arzt für einen schweren Eingriff in die Grundrechte seiner Mitarbeiterinnen missbraucht. Dies beinhaltet zugleich seine Ungeeignetheit für die Ausübung der·vertragszahnärztlichen Tätigkeit. Der Arztberuf stellt besondere Anforderungen an die charakterliche Eignung desjenigen, der ihn ausübt.
Der Senat hat die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen, da bislang keine Rechtsprechung zu der Frage existiert, unter welchen Voraussetzungen die Verletzung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung als gröbliche Pflichtverletzung im Sinne von § 95 Abs. 6 Satz 1 SGB V anzusehen ist (Az. L 11 KA 807 /16).
Hinweis
Zum Zeitpunkt der Erstellung der Filmaufnahmen konnte die Tat nach § 205 Abs. 1 Satz 1 des Strafgesetzbuches (StGB) in der bis zum 26. Januar 2015 geltenden Fassung nur auf Antrag verfolgt werden. In der ab dem 27. Januar 2015 geltenden Fassung besteht auch die Möglichkeit einer Strafverfolgung von Amts wegen bei Bejahung eines besonderen öffentlichen Interesses durch die Strafverfolgungsbehörde.
§ 95 Abs. 6 Satz 1 SGB V lautet:
Die Zulassung ist zu entziehen, wenn ihre Voraussetzungen nicht oder nicht mehr vorliegen, der Vertragsarzt die vertragsärztliche Tätigkeit nicht aufnimmt oder nicht mehr ausübt oder seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt
§ 21 der Zulassungsverordnung für Vertragszahnärzte lautet:
Ungeeignet für die Ausübung der vertragszahnärztlichen Tätigkeit ist·ein Zahnarzt, der aus gesundheitlichen oder sonstigen in der Person liegenden schwerwiegenden Gründen nicht nur vorübergehend unfähig ist, die vertragszahnärztliche Tätigkeit ordnungsgemäß auszuüben.
Quelle: LSG Thüringen, Pressemitteilung vom 20.11.2017 zum Urteil L 11 KA 807/16 vom 20.11.2017